Ruth Bleakley-Thiessen

10 Portraet Ruth Bleakley Thiessen privat

AB Vielen Dank, dass Du Dich bereit erklärt hast, an der Interviewreihe „Menschen brauchen Bilder“ teilzunehmen. Sagst Du zu Beginn ein paar Sätze zu Dir, wer Du bist, woher Du kommst und was Deine aktuelle Tätigkeit ist?

RBT Mein Name ist Ruth Bleakley-Thiessen. Ich komme ursprünglich aus Nordirland, aber ich wohne schon seit 40 Jahren in Schleswig-Holstein. Ich habe Kommunikationsdesign studiert und im Moment arbeite ich als Autorin, Coach und Künstlerin.

AB Welche Rolle spielen Bilder in Deinem Leben? Hat sich diese Rolle im Lauf der Zeit verändert?

RBT Bilder spielen eine sehr große Rolle in meinem Leben – sowohl die Bilder, die man sieht, als auch die Bilder, die man im Kopf hat – die Bilder, die man auch sieht, wenn man die Augen geschlossen hat. Das sind alles Dinge, mit denen ich in meiner Arbeit spiele.

AB Hast Du ein Beispiel dazu?

RBT In meiner Kunst benutze ich Bilder, damit Menschen – besonders Frauen, weil ich am meisten mit Frauen arbeite – gezwungen sind, ein bisschen anders zu denken, über sich selbst und über ihr Leben, damit eine Umwandlung geschehen kann. Für meine Kunst verwende ich Alltagsgegenstände, damit die Betrachterin/der Betrachter einen Teil von sich selbst erkennt. Es geht um die Identifizierung mit unseren Alltagsgegenständen, um ein bisschen aus diesem Alltag herauszukommen, um anders – angeregt – darüber nachzudenken. So geschieht es auch in meinem Coaching.

AB Noch einmal zum zweiten Teil der Frage: Hat sich die Rolle der Bilder im Lauf der Zeit verändert?

RBT Auf jeden Fall. In den letzten 15 Jahren war meine Kunst so etwas wie eine Selbst-Therapie. Ich bin durch sehr viele Frauenthemen durchgegangen, ganz unbewusst natürlich. Es sind Dinge, mit denen ich schwanger war, die einfach rausgekommen sind. Es gab kein Stoppen. Es war eine Zeit, in der ich wirklich sehr viel Kunst gemacht habe, um meine eigenen Themen zu verarbeiten.

AB Magst Du Themen nennen?

RBT Hausfrau sein, Mutter sein, Ehefrau sein, Unterdrückung. Ich habe mich sehr engagiert für Terre des Femmes als aktives Mitglied gegen Genitalverstümmelung. Das habe ich auch in einigen Bildern verarbeitet.

AB Du hast schon angedeutet, dass Du Installationen anfertigst. Wie suchst Du die Materialien dafür aus? Woher weißt Du, dass bestimmte Materialien genau zu Deinen Themen passen?

RBT Unterschiedlich. Es gibt bestimmte Materialien, die ich bevorzuge, zum Beispiel Fahrradschlauch oder Damenstrumpfhosen. Es gibt aber auch andere Alltagsgegenstände, die ich in der Hand habe und denke: „Okay, ich kann ein bisschen damit `rumspielen.“ Damit fängt es immer an bei mir, dass ich damit `rumspiele und gucke, was entsteht. Ich merke, wenn ein Kunstwerk fertig ist, indem ich anfange, darüber zu schmunzeln.

AB Noch einmal zurück zu den Materialien: Hast Du eine Idee, was Dich da genau anspricht, bei Fahrradschlauch und Nylonstrümpfen?

RBT Beim Fahrradschlauch ist es dieses „Innen“ und „Außen“. Außen ist er glatt, hart, aber trotzdem weich und wenn man den Schlauch aufschneidet, ist dieses Pulver darin. Es sieht aus wie Blei, das ist es aber nicht. Ich verarbeite die Schläuche zu Blumen und ich finde den krassen Gegensatz von „Innen“ und „Außen“ so faszinierend.

Bei den Damenstrumpfhosen ist es dieses Verkleiden. Wir Menschen haben unsere alltäglichen Masken, die wir tragen, um uns sicher zu fühlen und um unsere Rollen im Leben zu spielen, obwohl diese Damenstrumpfhosen sehr durchsichtig sind. Während der Lübecker Ateliertage habe ich eine Fotosession mit sehr vielen Menschen gemacht, die die Strümpfe übergezogen haben – über die Hände, über die Beine, über das Gesicht. Obwohl man die Menschen sehen konnte, fühlten sie sich verkleidet und sie haben sich wirklich anders verhalten. Ich finde das total irre. Auch wenn ich zum Beispiel einen Gegenstand mit diesem Material, mit dieser Strumpfhose beziehe, verändert sich das.

AB Ich erinnere mich gerade an den Stuhl.

10 Bild 1 Verkleideter Stuhl Ruth Bleakley Thiessen
Ruth Blakley-Thiessen: Verkleideter Stuhl

RBT Ja, der verkleidete Stuhl. Der sieht völlig anders aus und es macht einen Gegenstand total organisch. Das finde ich faszinierend – dieses „Anders werden“, wenn ich etwas anziehe und wie es ist, es auch wieder auszuziehen. Es ist, als ob wir einen Teil von uns wieder ausziehen, als ob wir uns nackt machen. Es ist auch genau das, was mir im Coaching begegnet, wenn wir eine Rolle fallen lassen, wenn wir ein bestimmtes Muster verarbeitet haben in unserem Leben oder ein Stück von unserem Ego anschauen, was ich sehr gerne mit Menschen tue. Man fühlt sich nackt, aber man fühlt sich sehr gut nachher, weil man mehr an die Essenz der Persönlichkeit herankommt.

AB Wo oder wie findest Du die Themen für Deine künstlerische Arbeit?

RBT Die Themen sind in meinem Kopf. Die kommen von ganz alleine. Ich merke, ich gehe mit irgendeinem Thema schwanger, bis ich das Gefühl habe, es muss heraus – diese Kreativität. In dem Augenblick kann ich nicht anders als kreativ zu sein.

AB Wie hängt Deine Kunst mit Deinen anderen Tätigkeitsfeldern als Coach, Autorin und Trainerin zusammen?

RBT (lachend) Ich bohre gerne. Dr. Gerhard Graulich, Direktor des Staatlichen Museums Schwerin, hat bei einer Ausstellungseröffnung im St. Annen Museum in Lübeck gesagt, dass ich gerne meinen Finger in die Wunde stecke. Ich halte fest, was falsch, klischeehaft oder ungerecht ist. Dort habe ich ein Werk zum Thema „Burka“ gezeigt. Ich habe drei Spiegel mit Damenstrümpfen versehen – einmal als Burka, einmal mit einer Nonnen-Kopfbedeckung und auch als Kopftuch. Es war so, dass man davor stehen und im Spiegel seine eigenen Augen sehen konnte, als ob man eine Burka aufgesetzt hätte. Man konnte sich so ein bisschen in das Gefühl hineinversetzen, eine Burka zu tragen. In meiner Arbeit als Coach bohre ich auch gerne. Dort gehe ich in die Tiefe und bin sehr gründlich.

AB Was treibt Dich dabei an?

RBT Wenn jemand zu mir kommt, übernimmt mich etwas. Ich lasse mich gerne leiten. Es geschieht, was geschehen soll. Ich bin nicht diejenige, die etwas macht. Es geschieht einfach. Das ist auch in der Kunst so ähnlich. Es geschieht.

AB „Menschen brauchen Bilder“ – so heißt diese Interviewreihe. Welchen Bezug hast Du zu Bildern ganz allgemein?

RBT Ich bin ein sehr visueller Mensch. Ich brauche Bilder und ich brauche das Schöne um mich herum, das Ästhetische. Ich mag das um mich herum haben, was mir gefällt. Das kann auch wechseln, aber ich muss Farbe haben. Das ist mir wichtig. Ich brauche eine Struktur in Bildern, sei es ein Muster oder irgendetwas, was ich erkennen kann. Bilder sind wichtig, Aussagen sind wichtig.

AB Ich gehe davon aus, dass Du hier reale, anfassbare Bilder meinst.

RBT Richtig. Ich habe in meinem Leben so viel illustriert, dass ich keine Lust mehr hatte zu malen. Deshalb habe ich es in den letzten Jahren bevorzugt, Dinge zu nehmen, die ich wirklich anfassen kann. Also 3D.

Nach meinem Studium habe ich sehr viele Bücher illustriert. Kinderbücher, satirische Zeichnungen und Kochbücher habe ich gemacht.

AB Kann man davon noch irgendwo etwas sehen? 

RBT Es gibt ein Kochbuch mit deutschen Rezepten in einem irischen Verlag. Ich habe für unterschiedliche Verlage gearbeitet, das keltische Baum-Horoskop habe ich auch gemacht.

AB Nun werfen wir einmal einen Blick auf andere KünstlerInnen. Wer hat Dich besonders beeindruckt? 

RBT Niki de Saint Phalle hat mich sehr inspiriert mit ihren Figuren, die Größe, die Aussage. Auch Picasso hat mich sehr inspiriert. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich vor einem Picasso-Bild stand. Ich glaube, es war „Guernica“. Da habe ich gedacht: „Wow, das ist wirklich ein Genie!“ Ich habe auch ein Buch von Francoise Gilot, einer seiner Frauen gelesen, die über das Leben mit ihm schrieb. Ich finde nicht alles gut, was er als Mann gemacht hat, aber als Künstler finde ich ihn absolut faszinierend. Ich mag das Geniale an ihm und dass er ein Vorreiter war.

AB Was meinst Du ganz genau? Ist es der Kubismus?

RBT Ja, es ist der Kubismus, diese völlig andere Art zu denken – und die Menge und Unterschiedlichkeit seiner Werke, auch seiner Skulpturen. 

Noch ein anderer Mann hat mich sehr in meinem Leben geprägt. Das war mein Professor, Bernhard Schwichtenberg. Er hat sich sehr viel mit Menschenrechten beschäftigt. Ich habe bei Ihm meine Examensarbeit gemacht. Es war eine Plakatserie für den deutschen Tierschutzbund. Das Thema Menschenrechte hat mich in meinem Leben immer wieder begleitet.

AB Womit hängt das zusammen? Mit Deiner Geschichte?

RBT Ja natürlich, denn ich komme aus Nordirland. Ich habe die ganze Unruhe dort erlebt und hatte immer den Wunsch, Frieden in die Welt zu bringen.

AB Welche Dinge sind für Dich in einem Werk wichtig, damit es Dich in den Bann ziehen kann?

RBT Es können Farben sein, starke, wunderschöne, leuchtende Farben. Ich bin eher ein Frühlingsmensch.

AB War das schon immer so?

RBT Ja. Es können eigentlich ganz unterschiedliche Dinge sein und es muss auch gar kein bekannter Künstler sein. Ich sehe etwas und denke: „Wow, das ist toll!“ Es kann eine Idee oder auch nur die Umsetzung sein. Es sollte aber etwas völlig anderes sein, eine andere Art zu denken, was ich auch während meines Studiums als Kommunikationsdesignerin gelernt habe.

AB Ja, damit wird auch das Thema Werbung berührt, in dem es darum geht, andere in den Bann zu ziehen. Deshalb achtest Du wahrscheinlich darauf.

RBT Ja, das ist so.

AB Okay, das ist also das, was bei Dir Emotionen auslöst?

RBT Ja, aber nicht nur bei mir. Wenn ich etwas mit einem Kunstwerk bezwecke und es ausstelle, dann kommen viele Menschen, die etwas völlig anderes darin sehen als ich und das finde ich faszinierend. Jeder nimmt seine Geschichte und seine Prägung mit.

AB Fällt Dir dazu ein Beispiel ein? Was hat Dich besonders überrascht?

RBT Ich habe ein Bild zum Thema „Haut“ gemacht. Es bestand aus Acrylplatten und ich habe Daumenabdrücke darauf gebracht – mit Ausschnitten von Strumpfhosen. Es ging mir nur um Haut und den Daumenabdruck. Es stand eine Frau davor, fing an zu weinen und meinte: „Das ist Misshandlung.“ Ich habe auch ein Objekt gemacht, das „Bequemlichkeit“ hieß. Es waren zwei an einer Stange hängende, gefüllte Socken. Auf einer Messe kam eine Frau zu mir und sagte, es sähe aus wie misshandelte Kinderbeine. Hart, ganz hart! Es war ihre Assoziation. Ich weiß nicht, was sie in ihrem Leben erlebt hat. Das war ihres, aber ich habe das überhaupt nicht damit gemeint. Bequemlichkeit ist für mich, nach Hause zu kommen, die Schuhe auszuziehen, die Beine baumeln zu lassen – mit den Hausschuhen dran.

AB Das ist das Spannende und das Schöne an Kunst, dass es so unterschiedliche Sichtweisen darauf gibt.

RBT Ja – und ich provoziere gerne.

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Werkschau 2017 der GEDOK Schleswig-Holstein (Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e. V.) im Hafenschuppen 6 (Lübeck). Ruth Bleakley-Thiessen aus Bösdorf mit dem Kopftuch aus der Serie Nylon Tights

AB Das ist sicher auch beim Coaching wichtig, um das nach oben zu befördern, was in der Tiefe schlummert.

RBT Ja, das ist sehr wichtig.

AB Merkst Du, dass sich die Themen, die Du künstlerisch bearbeitest, sich auch im Coaching aufdrängen und dass Du dann entsprechende Fragen stellst?

RBT Was ich eher merke ist, dass wenn ich meine Themen verarbeitet habe, Klienten mit genau diesen Themen kommen. Ich verarbeite es in einem Bild oder in einer Coaching-Session, die ich selbst nehme. Ich finde es sehr wichtig, wenn man coacht, dass man die eigenen Themen anschaut. Wenn ich in einer Session mit irgendjemandem durch irgendetwas getriggert werde, dann weiß ich: „Aha, das ist etwas, was ich selbst angucken sollte.“ Dann kommen die entsprechenden KlientInnen mit diesen Themen.

AB Was wünscht Du Dir in Bezug auf die Kunstwelt hier in Schleswig-Holstein?

RBT Natürlich wünsche ich mir, dass hier mehr Kunst verkauft wird. Ich – und das trifft auch für viele meiner KollegInnen zu – finde es sehr schwierig, Kunst hier zu verkaufen. Ich wünsche mir auch, dass die Menschen viel offener dafür werden.

AB Wie könnte man das fördern?

RBT Das ist die Frage. Ich gehe immer wieder schwanger mit dieser Frage und wenn ich die Antwort wüsste, würde ich sie erzählen, aber leider habe ich keine. Ich würde mir auch wünschen, dass KünstlerInnen für Ausstellungen bezahlt werden anstatt einen Raum mieten zu müssen. Ich wünsche mir mehr Fördermittel für Kunst.

Was ich sehr gut finde hier im Norden, sind die Gruppen, die sich hier gebildet haben. Ich bin in einigen Künstler-Vereinigungen, z. B. in der GEDOK Schleswig-Holstein, Multiple Art, Lübecker Künstlergemeinschaft. Gerade in Kiel finde ich die Verbindung der KünstlerInnen untereinander sehr fruchtbar – die Begegnungen, die ich dort habe. Wir haben sehr gute, inspirierende Gespräche.

AB Arbeitest Du gerne in künstlerischen Teams?

RBT Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen. Ansonsten bin ich eine ziemliche Eigenbrötlerin, die oft genug alleine ist. Ich bin auch nicht der extrovertierteste Mensch und das Zusammensein mit anderen KünstlerInnen, die ähnlich ticken, finde ich ganz toll.

AB Findet der kreative Prozess bei Dir eher in dem Moment statt oder im stillen Kämmerlein?

RBT Sowohl als auch.

AB Es wird aber ja selten gemeinsam an einem Werk gearbeitet, an einer Skulptur z. B.

RBT Ja, selten, aber wenn, dann macht das richtig Spaß. Es dürfte öfter passieren.

AB Hast Du das einmal gemacht?

RBT Wir haben für die GEDOK einmal eine gemeinsame Performance mit Reispapier gemacht.

AB Ja, die Performance ist eine Ausdrucksform, die sich geradezu anbietet, um etwas gemeinsam zu erschaffen.

Möchtest Du nun noch etwas loswerden, was Du gerne ausdrücken möchtest – in Bezug auf „Menschen brauchen Bilder“, Kunst, Coaching,…?

RBT Ich möchte noch auf die Yoko Ono-Ausstellung dieses Jahr in Leipzig eingehen. Diese Ausstellung war für mich sehr inspirierend, weil es eine Mitmach-Ausstellung war. Es sind einige Sachen durch die Besucher dort entstanden. Z. B. haben sie Nägel in ein Skulptur aus Holz dort hineingehauen, sie haben ein Bild von ihren Augen und einen Spruch über ihr Leben geschickt oder sie haben in einem Buch beschrieben, wie sie in ihrem Leben selbst Gewalt erlebt haben. Ich finde es toll, dass die Leute bereit waren, dort mitzumachen und was daraus entstanden ist. Yoko Ono ist auch eine Vorreiterin für mich gewesen, mit dem was sie gemacht hat. Die bekannte Unbekannte, die zuerst nicht so ernst genommen wurde als Freundin / Frau von John Lennon. Ihre Art zu arbeiten finde ich sehr, sehr schön. Nach innen zu gehen und das, was von innen kommt – auch ihre Texte finde ich so schön! Davon wünsche ich mir mehr und vielleicht gehe ich jetzt auch in diese Richtung. Ich weiß es noch nicht. (Lachend:) Ich merke, dass man durch Phasen geht: Ich hatte meine Fahrradschlauch-Phase, meine Strumpfhosen-Phase. Jetzt habe ich das Gefühl, dass eine andere Phase beginnt. Mal gucken.

AB Wo kann man Dich im Internet finden, wenn man mehr über Dich erfahren möchte? 

RBT Man kann mich auf meiner Website finden: http://www.ruth-bleakley-thiessen.de, aber auch auf Facebook. https://www.facebook.com/coachriseandroot/

AB Ruth, vielen Dank für dieses interessante Gespräch!