Uta-Maria Torp

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Uta-Maria Torp

UT Ich heiße Uta-Maria Torp. Ich bin Schauspielerin und habe einige Jahre an verschiedenen Theatern gespielt. Das Schleswig-Holsteinische Landestheater war das erste und auch in Kiel bin ich aufgetreten.

Ich habe zwei Kinder und das Familienleben war nicht gut mit der Schauspielerei vereinbar, weil sie sehr viel Zeit gekostet hat und mich im Kopf sehr belegt hat. Ich habe versucht etwas zu finden, was meinen Fähigkeiten und meiner Lust mit Sprache zu arbeiten entspricht. So bin ich auf die Sprecherei gekommen. Es ist das, was ich heute hauptsächlich tue. Auch viele andere Schauspieler arbeiten nebenbei oder alternativ als Sprecher.

AB Sie sind Sprecherin für Audiodeskriptionen. Das sind die gesprochenen Texte, die sehbehinderten Menschen bei Filmen die Handlung verständlich machen. Sie geben also Sehbehinderten Hilfestellungen, mit denen sie Bilder im Kopf erschaffen können. Wie muss man sich diese Tätigkeit genau vorstellen?

UT Grundsätzlich ist es eine Dienstleistung für Blinde und Sehbehinderte, damit sie an Kino-Erlebnissen oder Filmabenden teilnehmen können. Das, was man von Filmen hört, reicht zum Verständnis oft nicht aus. Man kann es selbst ausprobieren, indem man sich vor den Fernseher setzt und die Augen schließt. Es fehlen bestimmte Informationen und gerade bei Filmen, in denen nicht viel gesprochen wird, wird es schwierig. 

Bei der Audiodeskription geht es darum, alles was außerhalb der Dialoge und Geräusche stattfindet, also das was der Sehende sieht, dem Blinden als Bild zu erklären. Man beschreibt z. B., wie die Menschen im Film aussehen und wenn man ein Autogeräusch hört, dann erzählt man vielleicht, dass die Menschen im Auto sitzen und eine Landstraße entlang fahren.

AB Sie arbeiten auf Grundlage von Beschreibungen, die Sie von anderen Leuten bekommen, das heißt Sie schreiben die Texte dafür nicht selbst?

UT Nein, aber mittlerweile könnte ich es wohl schon, weil ich es schon sehr, sehr lange mache und auch sehr oft. Der Autor sieht sich den Film an und schreibt ein Manuskript dazu. 

Zumindest bei seriösen Anbietern beurteilt dann eine blinde Person, ob sich der Film aus dem vorgelesenen Text erschließt oder nicht. Mit der blinden Person zusammen wird die Fassung korrigiert und ergänzt. 

Manchmal wird jedoch dabei nicht darauf geachtet, ob das Manuskript realisierbar ist. Vielleicht hat man nur 8 Sekunden Zeit und dann ist es nicht möglich, dass man eine halbe Minute Text dort unterbringt. Dann gibt es noch einen Redakteur, der das Ganze auf Sprachlichkeit untersucht. 

In der Regel ist das die Arbeit, die gemacht wird, bevor ich antrete und der Geschichte meine Stimme gebe. 

Ich habe selbst einmal die Übung gemacht und geprüft, ob der Film für mich über die Audiodeskription bei geschlossenen Augen nachvollziehbar ist. Es ist erstaunlich – auch als Sehender gewinnt man noch einiges dazu: Dinge, die man gesehen hat, aber nicht wirklich aufgenommen oder nicht wirklich bemerkt hat.

AB Sie sind zusammen mit anderen Beteiligten mit dem deutschen Hörfilmpreis ausgezeichnet worden, wie ich gelesen habe. Das ist ein sehr schönes Feedback! 

UT (lachend) 7 mal. 

AB Haben Sie auch schon mal ein persönliches Feedback von einer Person erhalten, die Filme mit Hilfe Ihrer Audiodeskriptionen „gesehen“ hat? Sie sagten, dass zur Erstellung von Beschreibungen blinde oder sehbehinderte Menschen hinzu geholt werden und ihr Feedback in die Beschreibungen einfließt. Trotzdem möchte ich die Frage stellen, ob Sie ein besonderes persönliches Feedback bekommen haben. 

UT Ja, durchaus. Ich habe auch Live-Audiodeskriptionen gemacht, im Kino zur Berlinale zum Beispiel. Auch Theater-Aufführungen wie „Jedermann“ im Berliner Dom habe ich gesprochen. Dort habe ich ein sehr positives Feedback bekommen. 

Durch meine Arbeit kenne ich mittlerweile einige blinde oder sehbehinderte Menschen und auf entsprechenden Events bekomme ich schon etwas zurück.

Ich arbeite sehr viel für die Deutsche Hörfilm GmbH. Das ist eine der ältesten und erfahrensten Firmen in diesem Bereich. Es gab dort einmal einen Workshop mit einer Gruppe von Schülern einer Blindenschule in Berlin. Sie saßen im Vorraum, aßen etwas und unterhielten sich. Ich hatte im Studio gerade eine Aufnahme gemacht und war fertig, traf auf dieses Grüppchen und dann hörte ein Mädchen meinen Namen und flippte plötzlich völlig aus: „Ah nein, die?“ Da habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass meine Stimme doch sehr bekannt ist und für diese Menschen war ich ein kleiner Star. Das ist mir noch nie in meinem Leben passiert. Das war eigenartig, aber auch sehr schön und es hat mich gefreut. 

Bei der Verleihung des Hörfilm-Preises lobte die Jury meine Art des Erzählens. Es geht im Grunde genommen um einen Kommentar, eine relativ sachliche Angelegenheit. Heute wird es gerne erzählerischer oder epischer gemacht. Schauspieler haben nicht den Drang, sich zurück zu nehmen. Sie sind ja dafür da, sich expressiver zu verhalten, aber bei einer Audiodeskription gehört auch eine gewisse Zurücknahme dazu. Natürlich ist es nicht zweckdienlich, so etwas wie Nachrichten zu sprechen. Mittlerweile finde ich einen guten Mittelweg. In Nuancen variiere ich und ich bediene auch den Film, ohne mich aber selbst zu produzieren. Ich spreche sachlich, so dass man zuhören kann und möchte, aber ich muss das nicht zwangsläufig in einem großen Erzählbogen tun. 

AB Sie sprechen auch Hörbücher. 

UT Wenig, leider. Ich würde das sehr, sehr gerne viel häufiger machen, aber so etwas lässt sich besser über Promis verkaufen.

AB Auch dabei geht es darum, Bilder im Kopf des Zuhörers zu generieren. Worin besteht genau der Unterschied zur Audiodeskription?

UT Bei Hörbüchern liest man einfach den Text des Buches. Hörbuch bedeutet eigentlich nur, etwas ohne Zusatzkommentar zu lesen. Hörbücher kaufen wahrscheinlich auch mehr Sehende als Sehbehinderte, wobei es natürlich für Sehbehinderte ein guter Service ist.

AB Ist es in Bezug auf Ihren stimmlichen Part ein Unterschied, ein Hörbuch zu sprechen?

UT Ja, definitiv. Das ist ja wirklich Literatur und es geht um das Erzählen, um den Ausdruck. Da muss man in der Tat interpretieren, färben und alles Mögliche tun, damit die Geschichte entstehen kann. Im Film ist das alles schon da. Wenn man es im Film genauso umsetzen würde wie im Hörbuch, dann wäre das eine Ebene zu viel. Ich habe zum Beispiel einmal einen alten Western als Audiodeskription „gesehen“. John Wayne spielte mit und einige andere. Man hatte einen Sprecher gewählt, der genauso so klang. Besser wäre es gewesen, eine Frau zu nehmen, die sich stimmlich absetzt. Der Sprecher ist ganz und gar mitgegangen und ich habe 10 Minuten gebraucht, um zu verstehen, dass es sich um eine Audiodeskription handelt.

AB Danke, so wurde noch ein bisschen klarer, worin der Unterschied besteht.

Wie bereiten Sie sich auf eine Hörbuch-Aufnahme im Unterschied zur Audiodeskription vor?

UT Natürlich ist die Vorbereitung auf ein Hörbuch eine andere als auf eine Audiodeskription. Beim Buch hat man das Buch und das versucht man zu lesen, zu verstehen und sich zu markieren, was man gestalten kann.

Bei der Audiodeskription habe ich den Film auf meinem Laptop und das Manuskript vor mir. Auf dem Laptop läuft ein Timecode und dieser Timecode ist auch in meinem Text verzeichnet und ich weiß dann, in welcher Sekunde ich lossprechen muss und wie lange ich sprechen darf. Das übe ich zu Hause, indem ich mir den Text laut vorlese und prüfe, ob er hineinpasst oder nicht. Das ist also eine völlig andere Vorbereitung als bei einem Hörbuch.

AB Gibt es ein Projekt oder einen Film, woran Sie ganz besonders gerne zurückdenken? Wenn ja, warum?

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Unschärfe, Foto: Hendrik Wendt

UT Ich habe viele schöne Kinofilme gesprochen: „Die Welle“ oder „Das Parfum“ zum Beispiel. Es ist sicher interessanter, einen Kinofilm oder einen Spielfilm zu sprechen als Vorabend-Serien und Krimis oder so etwas. Diese Filme sind zum Teil auch gut und lustig, aber es wiederholt sich dann vieles.

Live-Audiodeskriptionen auf der Berlinale waren sehr schöne Erfahrungen: Neue Filme, die ich vorher nicht kannte, haben immer viel Spaß gemacht.

Was mit der Audiodeskription gar nichts zu tun hat, aber was ich auch sehr gerne mache, ist sozusagen das Negativ davon. Seit einigen Jahren synchronisiere ich Kinderfilme bei der Berlinale live. Alles, was dort gesprochen wird, übersetze ich, weil deutsche Kinder diese Filme sonst nicht verstehen würden. Das ist genau das Gegenstück zur Audiodeskription, in der ich ja alles erkläre, was außerhalb der Dialoge ist. In der Synchronisation dagegen spreche ich die Dialoge.

AB Noch einmal zurück zur Schauspielerei: Sie haben Ihre Schauspieler-Ausbildung in Kiel gemacht. Danach haben Sie auf zahlreichen Bühnen Theater gespielt: Am Schleswig-Holsteinischen Landestheater, wo sie sogar einen Nachwuchsdarsteller-Preis gewonnen haben, am Schauspielhaus Kiel, am Staatstheater Saarbrücken, am Freien Theater Salzburg, am Landestheater Detmold und am Grips-Theater Berlin. Die Frage, was Sie dazu bewogen hat, ausschließlich per Stimme in Erscheinung zu treten, haben Sie eingangs schon beantwortet. Es waren private Gründe.

UT So fing das an, genau. Dann muss man sich eben überlegen, ob man noch einmal wieder einsteigt. Das habe ich ein bisschen verpasst. Ich habe mir die Sprecherei aufgebaut und ich arbeite wirklich sehr gerne mit Sprache. Es ist kein Notnagel, sondern das, was ich gerne tue.

Ich habe die Schauspielerei aber weitergegeben. Mein Sohn ist gerade fertig mit seiner Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München und hat seltsamerweise nächste Woche einen Termin zum Vorsprechen in Kiel.

AB Noch eine allgemeinere Frage: Welche Chancen sehen bei der Darstellung von Bildern in der Sprache im Vergleich zur visuellen Darstellung, zur Malerei zum Beispiel?   

UT Das ist eine schwierige Frage. Ich habe auch für Ausstellungen Audiodeskriptionen gesprochen oder Museums-Audioguides. Auch das ist ein Service für Blinde. Für Sehende ist es auch hilfreich, weil man sonst bestimmte Dinge vielleicht nicht sehen würde oder weil es Aspekte gibt, die man selbst nicht betrachten würde. Inwieweit das einen eigenen sinnlichen Eindruck vermittelt, weiß ich nicht.

Früher habe ich mir bei einem Ausstellungsbesuch nie einen Audio-Guide geben lassen. Ich wollte einen ungefilterten Eindruck haben und meine eigene sinnliche Erfahrung machen. Als ich aber anfing, beruflich Bilder zu beschreiben, habe ich öfter einen Audio-Guide genutzt und das als Bereicherung empfunden, als eine zusätzliche Ebene. Jeder muss sehen, wie er so etwas gerne zu sich nimmt. Ich glaube, es ist hilfreich, wenn etwas wie ein Audio-Guide dazu kommt, aber ersetzen kann es einen visuellen, sinnlichen Eindruck nicht 100 % ig. Für Blinde ist es aber die einzige Chance und dann kommt es darauf an, dass jemand da ist, der das wirklich gut beschreiben kann.

AB Welche Rolle spielt das ausschließlich gehörte Bild aus Ihrer persönlichen Sicht in unserer Gesellschaft?

UT Das ausschließlich gehörte Bild kommt ja nur in der Welt der Sehbehinderten vor. Ich denke, dass es mehr und mehr zu einem automatischen Service werden sollte. Es hat sich da in den letzten Jahren sehr viel ergeben und das ist eine kolossal wichtige Sache. Es gibt sehr viele Menschen, die sehbehindert sind es wird wahrscheinlich immer mehr werden, weil ja auch schon viele Kinder Probleme mit dem Sehen haben. Die Audiodeskription ist eine wunderbare Sache, weil Kunst und Bilder, auch bewegte Bilder die Sinne sehr ansprechen. Das alles auch Leuten zugänglich zu machen, die nicht sehen können, finde ich wunderbar.

AB Ich denke auch, dass das eine ganz wunderbare Arbeit ist. Normalerweise kommt man damit nicht in Kontakt, wenn man keine Sehbehinderung hat.

UT Man kommt damit normalerweise nicht in Kontakt, aber ich treffe immer wieder Leute, die sagen: Audiodeskription ist doch das, wo man den Knopf plötzlich nicht mehr findet, um es auszustellen. Einige Leute finden das ganz schrecklich und andere merken plötzlich, dass das total interessant sein kann. Mein nicht sehbehinderter Lebensgefährte zum Beispiel hört sehr gerne Hörbücher – nachts – um einzuschlafen. Er ist sehr daran gewöhnt, dass ihm etwas erzählt und erklärt wird. Er mag das unheimlich gern und es ist eine Bereicherung für ihn.

AB Wenn man zum Einschlafen Geschichten hört, ist das ja etwas, was man vielleicht aus seiner Kindheit kennt. Das hat etwas ganz Beruhigendes, Intimes und vielleicht etwas Mütterliches.

UT Das wahrscheinlich auch. Wenn man etwas vorgelesen bekommt, entstehen Bilder im Kopf. Gerade, wenn das als Einschlaf-Hilfe gedacht ist, ist das ja eigentlich toll. Bilder fangen an sich so langsam zu verselbstständigen oder kommen dann auf irgendwelche anderen Ebenen. Das ist ja eigentlich eine super Erfahrung.

AB Wäre das etwas, was in unserer Gesellschaft zukünftig eine größere Rolle spielen könnte?

UT Wenn die Menschen sich darauf einlassen, wäre das sicherlich eine interessante Geschichte. Es wäre auch etwas für Schulen. Es wäre schön, wenn es dort Räume gäbe, in denen sich die Schüler zur Beruhigung ein Hörbuch anhören könnten oder in denen ihnen etwas vorgelesen wird, um eine ganz ruhige eigene Welt zu betreten. Das kann ich mir sehr gut vorstellen.

AB Das wäre ein schöner Ausblick. Darüber könnte man einmal nachdenken.

Nun sind wir am Ende des Interviews angelangt. Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch. Wenn jemand mehr über Sie wissen möchte, wo kann er oder sie sich informieren?

UT Das ist sozusagen meine Achilles-Ferse. Ich wurde über die Jahre immer wieder als Sprecherin gebucht und das spricht sich herum, aber ich habe einen fast nicht stattfindenden Internet-Auftritt. Wenn Sie mich suchen sollten, Sprechproben hören und mich buchen möchten, dann gibt es neuerdings die Möglichkeit, das über eine Agentur „speaker search“ in Berlin zu tun. Und irgendwann kommt dann auch mal eine Homepage.

AB Vielen Dank, Frau Torp!

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